Einmal Bogotá und zurück

Merkwürdigerweise war Angela blond.

Sundern hatte mit einer Serie knapper Befehle und Anweisungen auf sie eingehämmert.

»Ihr habt nur eine Chance: Ihr müsst verdammt schnell sein! Ihr müsst im Flieger zurück nach Frankfurt sitzen, bevor die in Bogotá überhaupt begriffen haben, dass die Kleine verschwunden ist! Ihr müsst ankommen wie Touristen, müsst euch benehmen wie Trottel und müsst zuschlagen wie die Teufel!

Milan, achte mir auf Grau. Wenn Grau was passiert, dann ist das so, als wäre es meinem Bruder passiert! Ihr nehmt jeder zehntausend Dollar in bar mit, müsst aber so aussehen wie deutsche Volksschullehrer, die jeden Centavo umdrehen, ehe sie sich eine Limonade gönnen.

Viel Zeit habt ihr nicht, ihr könnt nicht tagelang ausbaldowern, wie ihr die Sache am besten dreht. Ihr müsst kommen und wieder verschwunden sein und ein gewaltiges Chaos zurücklassen. Denkt daran: Pedra hat gesagt, das Mädchen ist ständig von einer Gruppe Jugendlicher umgeben. Vergesst nicht, dass mindestens drei davon nach außen als Studenten auftreten – in Wirklichkeit aber Agenten der Amis sind!

Und ich verlange eines, Grau: alle vier bis fünf Stunden anrufen. Egal, was passiert: anrufen!«

Ganz zum Schluss, eher beiläufig, kamen die wichtigsten Anweisungen: »Verlasst euch nicht auf Dritte! Ihr habt einen Kontakt, beschränkt euch genau auf den. Kolumbien ist ein fremdes Land, ein armes Land, und jeder wird versuchen, euch übers Ohr zu hauen. Diese Angela ist ein leichtfertiges, hübsches Ding. Es gefällt ihr bei ihren Wächtern. Sie kriegt alles an Drogen, was sie will, sie darf mit jedem vögeln. Das gefällt ihr. Wahrscheinlich hat sie überhaupt kein Verständnis dafür, dass zwei Selbstmörder auftauchen und sie aus dem Paradies entführen wollen!«

»Hör endlich auf, Sundern«, hatte Grau ärgerlich geantwortet. »Wir sind keine heurigen Häschen, wir wissen, was wir zu tun haben. Ich weiß allerdings nicht, ob es mir auch viel Spaß machen wird.«

»Du bist Journalist, und es hat dir gefälligst Spaß zu machen!«

»Welch groteske Interpretation meines Berufes. Ich arbeite zum ersten Mal auf deiner Seite des Zauns. Ich habe plötzlich mit Leuten zu tun, die ganz offenkundig töten oder töten lassen, wenn ihnen das notwendig erscheint. Plötzlich schieße ich selbst! Halte dich aus meiner Seele raus, Sundern! Das Gras hier drüben ist nicht grüner!«

Sundern hatte geschwiegen und Grau hatte in wütendem Trotz nachgeschoben: »Sieh es doch mal so: Du selbst hast behauptet, dass du jeden gottverdammten Stenz in dieser sogenannten Unterwelt kennst. Was du wirklich tust, weiß ich nicht. Aber was geschieht denn mit mir, wenn irgendein Bulle kommt, eine Akte vor mich hinlegt und sagt: ›Lies mal, mein Freund! Lies mal, was dieser Sundern für ein netter Mensch ist!‹ Es wird eine ganze Reihe Leute geben, die genau das denken, Sundern. Und das Arschloch wird Grau heißen!«

Sundern hatte geschwiegen.

Als könnten sie den Aufenthalt auf dem südamerikanischen Kontinent mit der Anzahl ihrer Unterhosen zu ihren Gunsten beeinflussen, hatte jeder nur eine kleine Leinentasche gepackt. Zweimal Unterwäsche, zwei Hemden, eine Hose, ein Paar Ersatzschuhe, Zahnbürste, Rasierzeug. Währenddessen hatte Geronimo unten vor dem Haus schon ärgerlich auf die Hupe gedrückt.

Sie waren nach Frankfurt gerast, hatten den Direktflug nach Bogotá gerade noch erwischt und waren in die Sessel der ersten Klasse gefallen. Grau hatte stur und energisch darauf bestanden, dass jeder von ihnen zwei der Beruhigungspillen aus Hectors Apotheke nahm. Sie hatten geschlafen, traumlos und tief, bis die Maschine in Bogotá ausgerollt war, zweitausendsechshundert Meter über dem Meeresspiegel.

»Es ist wie in Spanien«, hatte Grau gesagt. »Du wirst es mögen.«

»Ich bin ein armer Mann, ich habe Spanien nie gesehen«, hatte Milan geantwortet und gelacht, weil Grau so kleinlaut geworden war.

Die Hitze hatte sie wie ein Schlag getroffen. Taxi ins Hilton, freundliche Teilnahmslosigkeit am Empfang, die Bitte Milans um einen Stadtplan. Schnell eine Tasse Kaffee, dann ab in die belebten Straßen. Ein südländisches, buntes Gemisch. Viele arme Leute, mehr Hungrige als Zufriedene, mehr gierige als satte Augen. Wie heißt die Straße? Avenida de …? Calle de …? Es war alles lächerlich einfach gewesen, nichts Geheimnisvolles, kein Hemmnis, das eine schnelle Reaktion erforderte.

Vielleicht war das Rätsel Angela selbst.

Milan ging vor Grau hin und her, Grau hockte auf einer halb zerfallenen Bank und knabberte Erdnüsse aus einer großen braunen Papiertüte. Jenseits der Linie, die Milan mit seinen Schritten in den Sand zog, stand ein uralter verrosteter Eisenzaun mit sehr spitzen Lanzen vor rot blühenden Büschen und einer weiten Rasenfläche. Dahinter eine zweistöckige, ehemals herrschaftliche Villa aus Klinkersteinen, die ziemlich verkommen war, aber offenbar den Himmel für ein Rudel Studenten bedeutete, die das Leben anbeteten.

Auf dem Rasen eine alte Tischtennisplatte, darum herum auf Kisten und Stühlen eine Gruppe junger Leute, die Pizzastücke verdrückten und auf einem billigen Grill Schaschlikspieße brieten. Sie tranken viel Bier, Wein und milchigen Schnaps, den sie aus Wassergläsern in sich hineinschütteten.

Pedrazzini hatte Angelas Bild gefunkt. Sie war ein entzückendes Wesen mit Schmollmund und dem irgendwann nicht mehr besiegbaren Hang zur Verfettung. Das blonde Haar reichte ihr bis zum Po. Sie räkelte sich betrunken auf dem Schoß eines vierschrötigen Blonden mit kurzen Stoppelhaaren. Offenbar der Anführer, denn die meisten der Gruppe gehorchten widerspruchslos, wenn er irgendetwas sagte. Sie sprachen alle Englisch.

Angela fühlte sich offensichtlich wohl auf seinem Schoß, denn sie wies seine Hand, die dauernd unter ihren kurzen Jeansrock fuhr, nur matt zurück. Sie sonnte sich in der Rolle des Stars, und die anderen Mädchen sahen zu ihr hin, als würden sie gern mit ihr tauschen.

Der Blonde war sehr groß und massig und wirkte lächerlich leutselig. Seine Kinnbacken mahlten unablässig. Er war der Inbegriff des Studenten, der sich nicht im Geringsten darüber klar zu werden braucht, was er denn eigentlich studieren soll, solange Papi bezahlt. Aber er trank kaum, nippte nur an seiner Bierdose. Er hatte eine Leinenjacke über die Lehne seines Stuhls gehängt. Grau konnte deutlich in der Innentasche den Griff des Revolvers erkennen. Vor ihm auf der Tischtennisplatte lag ein Funktelefon. Seine Augen waren hell und vollkommen unbeteiligt.

Es war unglaublich einfach gewesen, die Gruppe zu entdecken, das Schachbrettmuster der Straßen hatte es ihnen erleichtert. In den Häusern links und rechts herrschte buntes Treiben und die dröhnende Musik war ein unüberhörbarer Wegweiser in das Studentenviertel. Kirmes der kommenden Intellektuellen.

Hinter Grau rollten unablässig Fahrzeuge über die Straße, es stank nach Öl und Benzol. Zuweilen fotografierten er und Milan sich gegenseitig.

»Vier Mädchen und sechs Jungen. Drei von ihnen haben Waffen«, sagte Milan leise. »Der Blonde, das schmale Mädchen mit den langen schwarzen Haaren gegenüber und der Fuchsrote, der so aussieht wie Roger Rabbit. Es sind viel zu viele, um irgendetwas zu versuchen. Ich hoffe, es ist nur Besuch, und die meisten verschwinden gegen Abend. Oder sie werden zu betrunken sein, um zu gehen. Wie alt ist Angela?«

»Im Pass steht vierundzwanzig. Sie kann nichts allein tun, dieser Blonde geht immer mit, sogar zum Pinkeln. Sie sieht so aus, als stünde sie schwer unter Strom. Das wird nicht einfach.«

Sie waren jetzt schon zum zweiten Mal vor dem Haus, und jeder der beiden trug einen billigen Fotoapparat vor dem Bauch.

Sie fotografierten auch einige der Menschen, die in endlosem Strom an ihnen vorbeizogen. Laut Stadtplan lag diese Straße der ehemals reichen Mittelschicht nur vierhundert Meter von den unübersehbaren Dschungelsiedlungen der ganz Armen, ihren Papphäusern und Blechhütten, entfernt. Dies war die Straße, durch die Hunderte von ihnen hin- und herwogten, in der dummen, törichten Hoffnung, im Herzen der Stadt irgendein Glück zu machten, irgendjemanden zu finden, der ihnen fünfzig Cent schenkte, fünfzig himmlische US-amerikanische Cent.

Grau wusste, dass es dreißig Cent kostete, eine sechsköpfige Familie zwei Tage lang mit Brot zu versorgen. Er wusste auch, dass nicht einer in dieser endlosen Prozession diese dreißig Cent besaß. Er hatte eine Studie von UNICEF gelesen.

Eine alte Frau stolperte vorbei, sie hielt eine kleine, völlig verdreckte Stoffpuppe. Sie hielt sie zahnlos mümmelnd Grau entgegen, der ihr einen Dollar dafür gab und mit Mühe verhindern konnte, dass sie ihm dafür die Hand küsste. Behände wie eine Ratte war sie verschwunden, um wenige Minuten später mit einem alten, verdreckten Aluminiumteller aufzutauchen und neckisch so zu tun, als hielte sie eine Kostbarkeit in den Armen. Grau gab ihr auch dafür einen Dollar. »Wir sollten sehen, dass wir hier verschwinden«, sagte er.

»Wir müssen überlegen, was sie für Technik im Haus haben. Ich denke, Telefone und sogar Funk. Wir müssen das kaputtmachen, ehe wir verschwinden. Siehst du da oben auf dem Dach diese komische lange Antenne? Das ist Funk.«

»Und wenn wir den Strom abstellen?«, fragte Grau, nicht sehr überzeugt.

»Reicht nicht. Sie haben Batterietelefone«, antwortete Milan. »Wir sollten Kontakt aufnehmen, wir brauchen wenigstens irgendetwas, um ihnen Angst zu machen.«

»Mir macht eher unser Rückzug Probleme. Wir werden unter keinen Umständen irgendeine Linienmaschine benutzen können. Das klappt nie. Sie haben Einfluss genug, um den ganzen Flugbetrieb zu stoppen. Was denkst du?«

Milan grinste sanft. »Früher bin ich dreißig Kilometer zu Fuß gelaufen, weil ich kein Geld für den Bus hatte, jetzt sage ich: Lass uns einen Hubschrauber mieten! Wir könnten irgendwohin fliegen, wo wir dann eine Maschine kriegen.«

Grau war erheitert. »Weißt du, wie das hier auf diesem Kontinent ist? Wir müssten Hunderte von Kilometern überbrücken. Wie soll denn das gehen?«

»Was weiß ich.« Milan lief immer noch hin und her. »Welche Städte liegen in der Nähe?« Er lachte unterdrückt. »Wir haben es doch!«

Grau grinste. »Lass uns zu unserem Kontaktmann gehen.« Ein Taxi fuhr sie in die Altstadt. Ihr Kontaktmann stellte sich als Besitzer einer armseligen Autoreparaturwerkstatt heraus. Chevrolet stand mattblau auf einer uralten Holztafel.

Der Mann war bärtig, dick und unglaublich dreckig. Er kroch widerwillig unter einem alten Plymouth hervor und stellte sich vor sie hin. Er reichte Grau nur bis ans Kinn und sprach in gebrochenem Englisch sofort auf ihn ein. Ihm fehlten zwei Vorderzähne, deshalb entstand ein zischendes Geräusch. Er hätte absolut keine Zeit, sagte er.

»Sie werden Zeit haben müssen«, entgegnete Grau ruhig. »Ich soll Ihnen herzliche Grüße von Señor Pedrazzini bestellen. Sie sollen uns helfen, hat Pedra gesagt.«

»Pedra?« Er schien sich nicht erinnern zu können. Dann sagte er beiläufig: »Kann sein.«

Grau schüttelte lächelnd den Kopf. »Kann nicht nur sein. Sie wurden angerufen: Sie sollen mir helfen. Mein Name ist Grau.«

»Aha, ja, kann sein.«

»Gib ihm einen Hunderter, Milan. Nur einen. Vielleicht erinnert er sich dann schneller. Der Anruf kam vor sechs Stunden. Man sagte mir, Sie heißen Luiz.«

»Ich heiße wirklich Luiz.« Er sah den Hundertdollarschein in Milans Hand. »Ich erinnere mich jetzt wieder. Entschuldigung, ich habe so viel zu tun. Was wollen Sie? Ein Auto? Ich habe einen prima Camaro hier, den roten dahinten.«

»Kein Auto«, sagte Grau. »Gib ihm den Schein, los, sonst fallen ihm gleich die Augen raus. Kein Auto.«

»Was dann? Etwas anderes habe ich nicht.«

»Waffen«, sagte Grau cool.

»Waffen?« Er schien augenblicklich angeekelt.

Grau nickte. »Waffen. Wir brauchen einiges. Sie müssten das eigentlich auf Lager haben.«

»Sagten Sie Pedra? Sie sagten Pedra. Gut, kommen Sie mit.« Er ging watschelnd vor ihnen her, er war der einzige Mensch auf diesem trostlosen Hinterhof. Sie kamen in eine Waschküche, in der eine alte Frau Wäsche in einem Bottich umrührte, dann passierten sie einen langen Flur und eine sehr steile Steintreppe in den Keller. Unten stank es wie in einem Pissoir.

Sie drückten sich einen schmalen Gang entlang in einen Raum, dessen Wände ganz mit Brettern beschlagen waren. Auf den Brettern hingen Werkzeuge.

»Machen Sie die Tür zu, Señor.« An einer der Wände zog Luiz an einem Ring. Das Brett glitt nach vorn und schwang dann herum. Die Rückseite war mit Waffen behängt.

»Milan!«, stöhnte Grau.

Milan suchte herum, nahm diese und jene Waffe in die Hand, schüttelte den Kopf und hängte sie wieder hin. Er entschied sich für zwei schmale Revolver und sagte: »Das könnte reichen. Aber wir brauchen auch Blendgranaten.«

Grau wusste nicht, was das auf Englisch hieß. Er sagte fragend: »Granate?«

»Handgranate?«

»Nein. Licht, grelles Licht. Blendgranate. Ach so, flash!«

»Aha. Kann sein.« Luiz zerrte eine Holzkiste nach vorn, Milan bückte sich und sah auf die Beschriftung. »Das geht. Magnesium. Aber dann wird das Haus brennen.«

»Es soll von mir aus lichterloh brennen«, murmelte Grau. Er sah Luiz an und fragte: »Was kostet das?«

Milan sagte hastig: »Warte mal! Vielleicht weiß er etwas. Vielleicht weiß er, wie man aus der Stadt herauskommt. Glaubst du, er ist zuverlässig?«

»Wir haben keine Zeit, es herauszufinden. Wir haben nicht einmal die Zeit, das zu diskutieren. Also, Luiz, hören Sie gut zu: Wir wollen heute Nacht gegen drei Uhr Bogotá verlassen. Dann auch Kolumbien. Wie geht das?«

»Schiff, Zug, Auto, Bus oder wie?« Luiz nahm Grau nicht ernst.

»Nein, nein. Schnell, sehr schnell. Hubschrauber oder kleines Flugzeug.«

»Aha!« Er schien misstrauisch.

»Milan«, sagte Grau, »zeig ihm mal so nebenbei einen Haufen Geld. Dann prüfst du, wie diese Revolver funktionieren. Richtig schießen. Dann sagst du ihm, wir brauchen noch Munition.«

»Wenn du meinst«, sagte Milan gutmütig. Er zog ein Bündel Geldscheine aus der Tasche, es waren sicherlich mehr als zweitausend Dollar. Er tat so, als suchte er nach etwas anderem und legte die Banknoten wie zufällig auf den vollkommen verölten Werkstatttisch. Dann hatte er gefunden, was er suchte, und knurrte befriedigt: »Aha!« Er fuhrwerkte mit dem Zahnstocher in seinen Zähnen herum und machte ein gänzlich unbeteiligtes Gesicht.

»Bisschen mehr«, forderte Grau.

Wieder suchte Milan etwas, förderte ein weiteres Dollarpaket zutage und legte auch dieses auf den Tisch, die Scheine achtlos zerknüllt wie Einwickelpapier. Dann griff er in die Brusttasche seines Hemdes, holte Zigaretten und ein Feuerzeug hervor, zündete sich eine Kippe an, nahm die Geldhaufen und stopfte sie wieder zurück in seine Jeans.

Er nahm einen der Revolver, hielt ihn wägend in der Hand, richtete ihn nach vorn, schwenkte ihn, zielte über Kimme und Korn, nahm ihn zurück, feuerte dann ohrenbetäubend und sehr schnell eine vollkommen gerade Linie von vier Schüssen in das Brett links von ihm, sah Grau völlig ungerührt an und nickte gemütlich.

»Okay«, sagte Grau. »Also die zwei, dann jeweils 25 Schuss Reserve. Kein Scheiß, keine selbst gemachte Munition.«

»Es ist alles gut, kein Scheiß«, murmelte Luiz beeindruckt.

»Also, was ist jetzt? Können wir irgendwie mit einem Flugzeug rauskommen? Luiz, Pedra hat gesagt: Du bist gut. Wenn du gut bist, musst du das wissen, verdammt noch mal! Wir haben keine Zeit für Palaver.« Er wirkte verärgert.

»Bringt ihr Schnee raus?«

»Nicht doch!« Grau schüttelte scheinbar empört den Kopf. »Also geht das oder geht das nicht, verdammt noch mal? Geld spielt keine Rolle!«

»Ja, das könnte gehen. Kostet viel Geld. Könnte ich …« Er lächelte sie plötzlich an. »Der beste Weg ist über den Rio Magdalena. Immer nordwärts bis Barranquilla. 650 Kilometer. Dann Ponce auf Puerto Rico. Da sind wir schon fast in den USA.« Er sagte das, als machte er diesen Trip jeden Tag.

»Hast du einen Freund mit einem Flugzeug?«

»Nein, nein, kein Flugzeug. Hubschrauber, sehr guter Flieger.«

»Sollen wir das machen?«, fragte Grau zögernd.

»Besser als gar nichts.« Milan zuckte die Achseln.

»Okay«, stimmte Grau zu. »Kann der nachts starten?«

»Geht nicht offiziell, aber geht.«

»Das ist doch prima«, höhnte Grau. »Dann haben wir gleich die ganze kolumbianische Polizei auf dem Hals.«

»Keine Polizei«, widersprach Luiz lächelnd. »Polizei hat andere Arbeit. Guter Freund. Wann? Drei Uhr nachts? Flughafen?«

»So ist es«, nickte Grau. »Was kostet denn der Spaß?«

Luiz schien intensiv zu rechnen. Dann grinste er zaghaft. »Waffen, Granaten fünfhundert Dollar, Hubschrauber mehr.«

Grau nickte. »Er bescheißt uns, er macht garantiert tausend Prozent, weil das ganze Zeug geklaut ist. Aber du hast recht: Wir haben es ja.«

»Er muss uns den Piloten zeigen«, sagte Milan. »Und zwar jetzt! Wir müssen den Mann sehen, wir müssen eine genaue Verabredung machen. Gib ihm nur die Hälfte, sonst taucht er ab und hat zwei Jahre Geld zum Leben.«

»Er ist ein armes Schwein. Er weiß, dass wir nicht vom deutschen Entwicklungshilfedienst kommen«, brummte Grau. »Also, Luiz, hier ist dein Geld für die Waffen.« Er zog ein Bündel Dollars aus der Tasche und zählte fünf Scheine ab.

»Wir könnten seine Hilfe gebrauchen«, sagte Milan nachdenklich. »Ich meine, zu mehr.«

Grau nickte. »Ich denke genauso.«

»Trinken wir?«, fragte Luiz.

»O ja«, sagte Milan, »trinken wir. Das habe ich verstanden.«

Luiz ging vor ihnen her, Milan trug eine Plastiktüte mit den Waffen, den Ersatzmagazinen und den vier Granaten. Sie gingen wieder hinauf, dann hinaus in den Hof. Luiz schrie laut »Esmeralda!«, und eine junge, verhärmte Frau kam aus dem Haus gelaufen. Luiz gab ihr einen Hundertdollarschein. Er sagte sehr hastig etwas, die Frau starrte Milan und Grau erstaunt an, nickte und verschwand zur Straße hin.

»Sie geht zum Kaufmann und bezahlt die Schulden«, murmelte Grau. »Es ist also eine gute Investition.«

Luiz zauberte aus irgendeinem Autowrack eine Flasche Tequila hervor und reichte sie Grau. Der trank ein wenig und reichte sie an Milan weiter, dann sagte er: »Los! Luiz, kannst du uns in deinem Auto fahren? Zum Flughafen, zu diesem Hubschrauber?«

»Sure!«, behauptete Luiz.

Es ging auf den Abend zu, der Verkehr war sehr dicht, sie standen zuweilen für Minuten vor einer Kreuzung.

Grinsend, als wäre er stolz darauf, zeigte Luiz ihnen eine Dreiergruppe Jugendlicher, die höchstens vierzehn Jahre alt waren. Wenn die Autoschlange sich in Bewegung setzte, stürzten sie, aus dem blinden Winkel kommend, auf ein Auto zu, griffen hinein, rissen und zerrten an etwas, tauchten ab und waren auf wundersame Weise blitzschnell wieder verschwunden.

»Kleine Banditen«, erklärte Luiz. »Dumme Touristen lassen Autofenster auf. Armbanduhren wegreißen. Wie ein Sport.«

»Kannst du uns heute Nacht fahren?«, fragte Grau. »Gegen Dollar?«

Luiz überlegte und nickte dann.

»Dein Freund, dieser Mann mit dem Hubschrauber. Ist er gut?«

»Sehr gut.« Luiz grinste. »Künstler in der Luft, Mann.« Er fuhr sie an den prächtigen Eingangsgebäuden des Flughafens vorbei auf eine schmale Straße in Richtung Abendsonne. Er parkte vor einem kleinen Einlass des hermetisch abgesperrten Gebäudes. Dort stand eine Wache, die sehr martialisch wirkte, sich aber überhaupt nicht für sie interessierte, sondern sie ohne Gruß passieren ließ.

»Mein Freund ist in der Fliegerbar«, sagte Luiz.

Die Bar war eine Baracke, in der ein unbeschreiblicher Lärm herrschte und die total überfüllt war. Luiz steuerte zielsicher auf einen Zwerg zu, ein Mann, nicht größer als ein Meter sechzig. Er klopfte ihm auf die Schulter und sagte irgendetwas.

»Hallo«, sagte Grau. »Wir haben ein Problem.«

Der Mann war nicht älter als fünfundzwanzig, ein Weißer, rothaarig. Er hatte ein schmales Gesicht, das völlig von Sommersprossen übersät war. Er kicherte merkwürdig hoch und grinste wie ein Faun. »Das ist sehr gut, Mann. Leute, die Probleme haben, geben viel Geld aus, um sie loszuwerden.«

»Richtig.« Grau lächelte. »Luiz hier meint, dass wir nachts um drei Uhr mit dir starten können. Richtung Norden, den Magdalena entlang bis Barranquilla.«

»Nachts um drei? He, Mann, das kostet mich meine Lizenz.«

»Nicht doch«, widersprach Grau. »Du kaufst dir eine neue.«

»Die neue kostet tausend Dollar und fünfhundert zusätzlich für die Bürokratenhengste und deren Scheißtempel. Aber gut, Mann, lass hören, was du willst.«

»Er sieht bestimmt dauernd John-Wayne-Filme«, erklärte Grau Milan auf Deutsch. »Also, es ist so: Ein Freund hat eine Tochter hier. Sie studiert. Sagt sie. In Wirklichkeit kifft sie, nimmt Koks, badet abends in Gras und säuft wie ein Loch. Wir holen sie raus.«

Der kleine Mann sah Grau sehr direkt an und fragte listig: »Sie wird vielleicht bewusstlos sein?«

»Das könnte sein«, gab Grau zu. »Aber das stört dich nicht, oder?«

»Nicht sehr.« Der kleine Mann grinste. »Aber ich kann nachts hier nicht starten. Das geht nicht, Kumpels, das geht beim besten Willen nicht. Die haben mich sofort am Arsch.«

»Und wo geht es?«, fragte Grau.

»Wir könnten was anderes machen. Ich könnte jetzt auftanken, könnte die Biene nordwärts nach Honda fliegen. Kleines Kaff, nicht viel Bullen. Ich warte da. Luiz bringt euch ran. Dann über den Rio Magdalena. Bis Barranquilla? Hm, das geht. Aber die Frage ist, habt ihr Geld genug?«

»Das haben sie, ich sage dir, das haben sie.« Luiz nickte heftig.

»Okay. Ich gehe also auftanken und fliege die Biene nach Honda. Ich stehe südwärts von Honda über dem Fluss. Merkt euch das! Gut, okay, Mann. Dann nur noch die Sache mit dem Geld. Können wir vor die Tür gehen?«

Grau nickte. »Sicher.«

Sie gingen hinaus. »Ich rechne mal den Sprit bis Barranquilla. In Mompos tanke ich zwischen. Sind Bullen hinter euch her?«

»Wahrscheinlich nicht«, sagte Grau.

»Also, rechnen wir trotzdem mit Bullen. Ich muss tief fliegen. Ich komme mit einer Tankfüllung nicht bis Barranquilla. Macht aber nichts. Und dann? Von Barranquilla aus?«

»Rüber nach Puerto Rico. Was ist besser: Ponce oder San Juan?«

»Ponce«, sagte er schnell. »Es geht aber nicht normal.«

»Wieso?«

»Weil du das Mädchen bei dir hast«, erklärte der kleine Mann freundlich. »Aber vielleicht kann Zero helfen. Zero steht in Barranquilla und ist pleite. Lass mich überlegen. Das mache ich von unterwegs. Kostet ein Schweinegeld, Mann.«

»Macht nichts«, sagte Grau. »Wie viel für dich?«

»Ich heiße Negro, weil ich rote Haare habe.« Er grinste. »Also, lass mich rechnen. Zweimal volltanken, der lange, lange Weg. Muss tief fliegen, kostet eine Menge Sprit. Sagen wir tausend Dollar Sprit?« Er sah Grau schnell an.

Grau nickte. »Gut. Was kostet die Stunde?«

»Nicht Stunde, pauschal. Sagen wir zweitausend? Zusammen dreitausend?«

»Gib ihm dreitausend, Milan«, sagte Grau. »Noch etwas, Negro: Falls du eine Sauerei machst, bist du im Arsch! Ist das klar?«

»Das ist klar, Mann, ist klar.« Er sprach einige sehr eindrücklich kurze Sätze mit Luiz, der dauernd nickte, dann verschwand er wieder in der Fliegerbaracke.

»Wenn er bescheißt, seid ihr tot«, sagte Grau.

Luiz sah ihn lange an und nickte dann. »Das wissen wir, Mann. Du kannst uns glauben, dass wir das verdammt gut wissen. Du machst dies, du machst das. Machst du dies nicht, bist du tot, machst du das nicht, bist du erst recht tot. O ja, wir wissen das.« In seinen Augen lag ein demütiger Ausdruck.

»Ins Hilton«, bestimmte Grau. »Du holst uns um zwei Uhr ab. Du sagst kein Wort, auch nicht zu deiner Frau.«

»Kein Wort«, versprach Luiz. »Ihr werdet gutes Flugwetter haben, der Himmel ist klar.«

Im Hotel gingen sie als Erstes in das Restaurant, das im Parterre neben dem Empfang lag. Sie bestellten gegrillte Rippchen und Tortillas, tranken Unmengen Kaffee und Wasser.

»Bist du nervös?«, fragte Milan.

»Nicht besonders«, sagte Grau. »Aber ich möchte keine Menschen töten. Du weißt ja: Mich kotzt diese Brutalität an.«

Milan nickte. »Ich weiß. Du kennst das hier, du warst schon einmal hier?«

Grau nickte ebenfalls. »Ich kam von Rio hoch, ich recherchierte in Sachen Drogen. Das war, als Escobar noch lebte, frei im Land herumzog, den Armen Fußballstadien und Küchen einrichtete und tun und lassen konnte, was er wollte. Escobar war eine Sau, aber viele verehrten ihn wie einen Heiligen. Er zog immer mit zwei Priestern herum, in Medellín und später in Bogotá. Er kriegte sein Geld in Plastiktüten aus Florida. Bargeld, unbeschreibliche Mengen an Dollars. Du wusstest nie, wer hier eigentlich bestochen ist und wer nicht. Du musstest bei jedem damit rechnen. Im Hotel war alles voller Bullen mit Maschinenpistolen.«

»Und jetzt?«

»Ich weiß es nicht. Escobar ist tot. Ich nehme an, sie machen eine Pause. Sie bauen inzwischen auch Mohn an, um Heroin zu exportieren. Die Menschen hier sind sehr arm. Ungefähr so arm wie Luiz. Wenn sie könnten, würden sie aus ihren Papphütten am Rand der Stadt herauskommen und uns ausnehmen wie Weihnachtsgänse. Sie haben aber keine Chance dazu. Ich habe hier mal Babys im Müll gesucht.«

»Wir haben in Jugoslawien manchmal auch Babys im Müll gefunden«, sagte Milan. »Warum hier?«

»Es war so und es ist immer noch so: Wenn die armen Mädchen in den Müllstädten ungewollt schwanger werden, bringen sie die Kinder zur Welt und legen sie auf die Müllkippe, manchmal auch in den Mülleimer.

Es gibt hier Nonnen aus Holland, die ›Schwestern vom Armen Kinde Jesu‹. Sie führen Schulen und Waisenhäuser. Sie sammeln die Babys ein und ziehen sie groß. Ich habe damals auch nach diesen armen Würmern gesucht. Ich hoffte immer, ich würde keines finden, und wenn ich doch eins fand, wollte ich es immer nicht glauben. Die Nonnen sind richtig gut.«

Sie aßen, bezahlten und gingen auf ihr Zimmer. Sie hatten nur eines gemietet, denn sie gaben sich ja als deutsche Volksschullehrer aus, und Sundern hatte ihnen geraten, sie sollten sich so benehmen, als hätten sie die Reise bei einem Preisausschreiben gewonnen.

Grau rief Sundern an. »Wir kommen weiter, aber wir wissen noch nicht genau, wie wir das Land unbehelligt wieder verlassen können. Ansonsten geht es vorwärts.«

»Habt ihr das Mädchen schon gesehen?«

»Sicher. Eine hübsche Kleine, völlig besoffen und bekifft.«

»Wann geht ihr es an?«

»In ein paar Stunden.«

»Du meldest dich auf jeden Fall? Auch dann, wenn es schiefgeht?«

»Auch dann«, versprach Grau. »Und was ist in Berlin so los?«

»Der Teufel ist los.« Sundern lachte verhalten. »Die ARD hat den Beitrag deiner Kollegin gesendet. Das Auswärtige Amt hat jetzt also einen Diplomaten am Arsch, der Drogen und Schmiergelder nach Berlin geschafft hat. Sie geben es natürlich nicht zu. Irgendein Pressesprecher hat behauptet, Steeben wäre niemals in Berlin gewesen, tat so, als wäre alles eine Verwechslung. Steeben wäre in Rio verschwunden, wahrscheinlich von Banditen verschleppt. Das Auswärtige Amt hat ganz schön Muffensausen.

Und prompt hat einer von den Grünen einen Untersuchungsausschuss gefordert. Er sagte, das Auswärtige Amt sei noch nie richtig unter die Lupe genommen worden. Das wird ein heißer Tanz. Die Berliner Kripo tut unschuldig, aber es ist durchgesickert, dass die Amerikaner und die Leute vom Bundesnachrichtendienst hier gewildert haben.

Es brennt an allen Ecken, Grau, und es ist echt spannend. Warum nehmt ihr nicht einfach eine Linienmaschine?«

»Geht nicht, weil sie den Flughafen sofort dichtmachen werden.«

»Das ist richtig«, gab Sundern zu. »Aber du hast doch bestimmt schon eine Lösung in deinem schlauen Kopf, oder?«

»Ich hab tatsächlich eine, aber ich rede nicht darüber. Ich kann in den nächsten zehn Stunden wahrscheinlich nicht anrufen. Wir werden alles versuchen, das kannst du mir glauben.«

Sundern schwieg einen Moment. »Und wie ich dir das glaube«, sagte er dann. »Ihr seid nämlich die ersten ›guten‹ Toten, wenn etwas schiefgeht.«

»Wie geht es Meike?«

»Ich weiß es nicht. Sie sitzt in dieser Wohnung in der Dimitroffstraße herum und zetert. Sie will ihren Grau wiederhaben.«

»Sie wird ihn bekommen«, versprach Grau fröhlich.

Dann lagen sie auf ihren Betten und starrten auf den Fernseher, der ihnen Betriebsamkeit vorgaukelte und sie mit irgendeiner Serie aus der Reihe Die Schönen und die Reichen einlullte.

Gegen Mitternacht zogen sie sich um und bestellten sich erneut etwas zu essen, diesmal ins Zimmer.

»Wir werden nichts bezahlen«, sagte Grau. »Wir können später einen Scheck schicken. Sie sollen glauben, dass wir noch hier wohnen.«

»Zechpreller, wie schön.« Milan freute sich.

Luiz stand Punkt zwei Uhr mit dem roten Camaro, der so wundervoll lief, wie verabredet auf einem dunklen Parkplatz. Sie fuhren schweigend in die Stadt und Milan zeigte ihm, an welcher Stelle er in der Parallelstraße auf sie warten sollte.

Dann gingen sie zwischen zwei Häusern hindurch, kletterten über einen kniehohen Zaun und näherten sich der Villa von hinten. Es sah nicht so aus, als ob sie auch nur den Hauch einer Chance hätten.

Die Gruppe saß noch immer im Garten. Mittlerweile hingen malerische Lampions in den Sträuchern und es hatte sich noch eine ganze Reihe weiterer junger Frauen und Männer aus den Nachbarhäusern hinzugesellt. Grau und Milan standen im Schatten und betrachteten das wilde Treiben.

»Es sind jetzt mindestens dreißig«, sagte Milan etwas resigniert. »Mischen wir uns einfach drunter?«

»Gute Idee«, sagte Grau. »Aber von vorn. Und nachdem wir alles kaputtgemacht haben, was im Haus kaputtzumachen ist.«

»Du wirst langsam wirklich gut, du bist schon ein richtiger Soldat«, lobte Milan.

»Scheiß drauf«, gab Grau unwirsch zurück. »Wir müssen drauf achten, ob hier irgendwo Pärchen sind. So ein hübscher Garten lädt doch zu spontaner Sexualität geradezu ein.«

Sie suchten unauffällig zwischen den Büschen, fanden aber niemanden und wandten sich wieder dem Haus zu. Milan betrachtete es nachdenklich. »Nicht trennen«, sagte er langsam. »Bei unbekannten Objekten niemals trennen. Erst müssen wir rausfinden, wo der Lokus ist. Das ist ein gefährlicher Ort, weil sie da alle mal hinmüssen. Wir gehen durch das Fenster in den rechten Keller rein.«

Grau nickte und sah Milan zu, wie der völlig selbstverständlich und resolut das Fenster eintrat, in die Knie ging und sich vorsichtig hindurchschlängelte. »Kein Problem«, tönte es dumpf von unten. »Alles klar hier.«

Der Keller war mit altem Gerümpel vollgestopft, die Tür stand weit offen, dahinter lag ein schmaler Gang, der an einer Treppe endete, die steil nach oben führte.

»Jetzt nicht mehr reden«, sagte Milan. Sein Atem ging nicht einmal schneller. Er drückte die Tür am Ende der Treppe einfach auf, von irgendwoher wehte kühlere Luft. Das Treppenhaus war matt erleuchtet.

Milan deutete nach vorn, er verlangsamte seine Schritte nicht ein bisschen. Jemand, der ihm jetzt begegnete, musste glauben, dass er sich hier bestens auskannte.

Es ging noch weitere fünf Stufen bis zum Niveau des Erdgeschosses hinauf. Rechts war ein Raum, den jeder Gast passieren musste, wenn er irgendetwas im Haus wollte: ein spärlich möbliertes Zimmer mit zwei zur Vorderfront weit offen stehenden Türen.

Eine weitere Tür war schmaler als alle anderen. Milan versuchte sie zu öffnen. Eine Frauenstimme sagte: »Just a moment, please.« Es klang manieriert und betrunken, und Milan lächelte milde, als wäre er der Hausherr.

Drei Türen hatten sie noch nicht getestet. Milan versuchte die mittlere. Es war ein Raum, der nach hinten hinaus lag und in dem sich kein einziges Möbelstück befand. Die nächste Tür führte in ein Zimmer, in dem hinter der Tür nur ein Regal stand, sonst nichts. Auf diesem Regal entdeckte er einige kompliziert aussehende Geräte, die alle eingeschaltet waren. Runde Instrumente mit Zeigern in Bereitschaftsstellung, mit kleinen grünen und roten Lämpchen, die wie Leuchtkäfer im Dunkel glühten. Milan schloss die Tür hinter Grau.

»Kaputtmachen«, sagte er knapp. »Aber leise.«

Sie zerstörten alles und nahmen sich dafür Zeit. Sie zogen Verbindungsstecker heraus, legten die Geräte auf den Boden, stemmten Deckbleche ab und lockerten kompliziert aussehende Schalttafeln. Milan nahm einige davon und warf sie einfach aus dem Fenster. Dann entdeckte er ein Funktelefon, das er auf der Kante der steinernen Fensterbank zerschlug. »Jetzt aber schnell raus!«, zischte er.

Sie gingen hinaus, sie nahmen die Treppe nach oben. In diesem Moment sagte eine Frauenstimme fragend: »Bist du das, Luke?«

»Yeah«, reagierte Grau geistesgegenwärtig.

Sie gingen einfach weiter, Milan immer voraus. Er erreichte den ersten Stock, sah erst nach rechts, ging dann links auf eine geöffnete Tür zu, durch die mattes Licht fiel. Grau hörte erst ein erstauntes »Oh!«, dann ein heftig klatschendes Geräusch.

»Okay«, sagte Milan. »Es ist die Frau, die bewaffnet war. Ihr Schießeisen habe ich hier.«

Grau kam ins Zimmer. Die Frau lag auf dem Boden, mit dem Bauch quer über einer großen Matratze. »Ist sie bewusstlos?«

Milan nickte. »Für eine Weile. Da auf dem Stuhl liegt ihr Telefon. Schlag es kaputt oder nimm einfach die Batterien raus und wirf sie weg. Nein, das reicht nicht, schlag es kaputt.«

Grau nahm das Telefon, legte es unter seinen linken Schuh und bog es hoch. Es knirschte jämmerlich und zerbrach ohne großen Widerstand. Er zog die Akkus heraus und warf sie in einen Papierkorb.

»Alle Räume«, bestimmte Milan. »Keinen vergessen. Wir suchen das Schlafzimmer von dem Blonden.«

Es war das letzte Zimmer. Sie entdeckten zwei Telefone, die sie völlig auseinandernahmen. Einen kleinen stationären CB-Funk brachten sie auch für immer zum Schweigen. Dann grinsten sie sich im Halbdunkel verschwörerisch zu und Milan sagte: »Jetzt kommt der schwere Teil.«

»Hast du eine Idee?«

»Keine«, sagte Milan unverblümt. »Wir können mit den Blendgranaten jetzt nichts machen. Wenn wir damit anfangen, flüchten sie sofort auf die Straße und sind weg. Wir müssen den Blonden dazu kriegen, dass er mit Angela ins Haus geht.«

»Das schaffe ich«, sagte Grau. »Wir haben sowieso keine Zeit. Ich mache das und du nimmst sie in Empfang.«

Sie gingen wieder hinunter, Milan suchte sich in dem Raum mit den zwei Türen zum Garten ein unauffälliges Plätzchen.

»Viel Glück«, raunte er.

Grau ging hinaus, der Kies unter seinen Füßen knirschte, aus zwei Radios gleichzeitig plärrte laute Musik, niemand achtete auf ihn.

Dabei weiß ich nicht einmal, wie der Blonde heißt, dachte er matt. Das ist typisch für den großen Gangster Grau: alles dem Zufall überlassen.

Er näherte sich dem Blonden von hinten und sagte: »Hey, Junge, ich brauche dich dringend.« Der sah mit eiskalten Augen zu ihm hoch, die Augen von Angela waren daneben blau wie die einer Puppe.

»Pedrazzini hat wieder Leute in der Stadt. Mach keinen Scheiß, nimm die Kleine, komm ins Haus!« Wenn er irgendeinen Code verlangt, haue ich ihm den Schädel ein, nehme die Kleine und renne, dachte er matt.

»Pedra?«, fragte der Blonde. Er sah Grau nicht mehr an, starrte einfach vor sich hin.

»Ja, Pedra! Das Büro will, dass du das Quartier wechselst. Sofort, Junge, nicht erst nach deiner Pensionierung!«

»Ja, ja«, nuschelte er ein wenig maulig.

»Ich warte auf dich«, sagte Grau cool, drehte sich um und marschierte ganz geruhsam den Weg wieder zurück. Er schaute kein einziges Mal zurück.

Milan stand im tiefen Schatten zwischen den Türen. Grau sah ihn nicht, ahnte ihn nur.

Der Blonde kam mit Angela Hand in Hand zum Haus. »Was ist denn?«, fragte sie quengelnd. »Was soll das? Ich will tanzen.«

»Halt die Klappe!«, sagte er roh. »Dein Scheißgroßvater spielt sich mal wieder auf.«

»Ach der!«, plärrte sie.

Jetzt war der Blonde neben Milan, brach ohne jeden Übergang in die Knie und fiel nach vorn. Angela wollte schreien, aber ehe aus dem quiekenden Laut ein wirklicher Schrei werden konnte, griff Milan sie von hinten und schlug ihr gegen den Hals. »Gut«, sagte er gepresst. »Jetzt die eine oder andere Granate, ein bisschen Feuerwerk.«

»Und wie funktionieren die Wunderwaffen?«, fragte Grau.

»Du ziehst an dem Stift, der rausguckt. Siehst du ihn? Dann wegwerfen, aber nicht auf die Menschen. Augen zu, sonst bist du blind!«

»Ja, ja.« Dann zog Grau ruhig den Stift und warf die Granate in einem flachen Bogen durch die offene Tür hinaus und schloss die Augen. Die Detonation war gewaltig, der Boden vibrierte, Grau wurde umgeworfen, stand dann auf, drehte sich herum und öffnete die Augen.

»Komm jetzt«, sagte Milan beinahe gelangweilt. »Die nächste werfen wir im Treppenhaus.«

»Aber oben liegt die Frau.«

»Sie wird Zeit genug haben«, sagte Milan. »Das Beste ist, du schmeißt auch eine in das Eckzimmer.«

»Das brennt ja wie verrückt«, sagte Grau verwundert, zog den nächsten Stift und rollte die Granate in das Eckzimmer. Auf dem Rückzug ließ er eine im Treppenhaus fallen.

Erst jetzt kamen Schreie, sie waren hoch und schrill und machten das Chaos nahezu perfekt. Dann folgten die nächsten Detonationen.

Milan trug Angela über der Schulter wie einen Sack und lief so leichtfüßig vor Grau her, als hätte sie das Gewicht einer Feder. Sie rannten durch die Gärten, dann zwischen den Häusern hindurch, wo sie schließlich auf Luiz stießen, der in seinem Wagen wartete.

Grau keuchte. »Ab die Post.«

Luiz sagte anerkennend: »Die Kleine ist wirklich hübsch! Ich fahre nicht zu schnell, sonst fallen wir nur auf.«

Er ließ es also zunächst langsam angehen, wurde dann schneller, erreichte eine Ausfallstraße, und erst jetzt gab er richtig Gas. Offenbar genoss er dieses Abenteuer, er machte das Radio an und klopfte den Takt der Rockmusik auf das Lenkrad.

Das Mädchen wurde wach und fragte angstvoll: »Was ist, was ist? He, was ist?«

»Du bist ganz still«, sagte Grau grob. »Du wirst eisern die Schnauze halten, sonst töten wir dich!«

Sie schwieg, sie hockte neben Milan hinten im Wagen und schloss sicherheitshalber die Augen, weil er wie ein drohender Schatten halb über ihr thronte.

»Na prima!«, sagte Luiz zufrieden und gab noch ein wenig mehr Gas.

Nach einer Stunde waren sie am Ziel. Der Hubschrauber wartete im Norden der kleinen Stadt hoch über dem Fluss auf einem kleinen, grasbewachsenen Plateau.

Als sie noch durchs Gras rollten und Luiz erleichtert verkündete: »Das war’s, Leute!«, ließ Negro schon das Triebwerk an. Es spuckte ein paarmal und zog dann brav durch. Es dröhnte.

»Du bist ja schon bezahlt«, sagte Grau zu Luiz. »Ich danke dir.« Dann fiel ihm die verhärmte Frau ein, der Luiz einen Hunderter gegeben hatte, und er zupfte zwei Hundertdollarnoten aus dem Bündel. Er sagte: »Das war verdammt gut, Luiz. Ich werde dich weiterempfehlen.«

Merkwürdigerweise schüttelte Luiz aber den Kopf. »Ist schon gut, Compadre. Nicht zu viel, ich könnte glauben, ich habe Glück.«

»Du hast Glück. Du warst wirklich gut. Komm heil nach Hause.«

Sie stiegen aus und gingen hinüber zu dem wartenden Hubschrauber. Sie duckten sich unter den kreisenden Rotorblättern hindurch. Milan hielt Angela in seinem eisernen Griff und sagte kein Wort.

»He, Leute, he, gut!«, schrie Negro. Er deutete auf seine Kopfhörer, die gleichzeitig als Gehörschutz dienten. Er wartete, bis sie alle eingestiegen waren und sich angeschnallt hatten. Grau hockte neben ihm und starrte auf das silberne Band des Flusses, zweihundert Meter unter ihnen.

»Dann wollen wir mal!«, jubelte Negro. Er zog leicht die Maschine hoch, glitt nach links und stürzte dann, Fahrt aufnehmend, fast senkrecht wieder nach unten, dorthin, wo der Fluss nach Norden zog und sich langsam Nebelschwaden in den Büschen bildeten. Er lachte, vollführte einige wilde Manöver, Negro liebte das Leben, solange er einen vollen Tank hatte.

»Milan«, sagte Grau, »war es nicht viel zu leicht?«

»Du könntest recht haben«, sagte Milan. »Aber es ist ja noch nicht zu Ende.«

Es war nicht sehr dunkel, sie flogen ganz dicht über dem Fluss. Negro saß ganz locker in seinem Sitz und bediente souverän Pedal und Knüppel. Er schwätzte mit Grau.

»Was machst du, wenn Bullen kommen?«, fragte Grau.

»Nichts«, erwiderte Negro. »Runtergehen, landen, ein dummes Gesicht machen und Bares zeigen. Die Kleine ist Zucker. Ihre Familie hat viel Geld, eh?«

»Sehr viel Geld«, nickte Grau. »Fliegst du eigentlich auch Schnee?«

Negro schüttelte den Kopf. »Nein. Nur Passagiere. Schnee fliegen hat früher Spaß gemacht, brachte auch viel Geld. Jetzt nicht mehr, jetzt ist Escobar krepiert, sie rangeln um Posten und Pöstchen. Die großen Geschäfte laufen nicht mehr. Werden bessere Zeiten kommen, denke ich, irgendwann.«

»Wie geht es weiter nach Barranquilla? Du hast einen Mann namens Zero erwähnt.«

»Nach Mompos«, sagte Negro. »Mein Funkgerät ist zu schwach. Hier unten erwischt uns sowieso kein Radar. In Barranquilla, wenn jemand fragt, sagt ihr einfach, wir kommen aus Cartagena vom Baden. Okay? Verrückte Touristen, die unbedingt in Cartagena baden wollten. Ja, Mann, so ist das Leben hier.«

Der Zwischenstopp in Mompos war eine Sache von Minuten. Negro hatte kurz vorher auf seinem Funkgerät zu spielen begonnen und jemanden erwischt, dem er dann voll Verachtung von einigen idiotischen Touristen erzählte, die unbedingt an den Golf zum Baden wollten und dämlicherweise alles bar bezahlt hatten.

Er landete auf einem Acker neben einer alten, verkommenen Wellblechhütte, an der neben einigen Fässern mit Kerosin ein alter Mann wartete, der ungeheuer dankbar Bargeld in Empfang nahm und dann mit einer Handpumpe endlos zu hebeln begann, bis die Tanks gefüllt waren.

»Er wird jetzt tagelang besoffen sein«, sagte Negro gelassen, als sie wieder abhoben.

Vor Barranquilla spielte er dasselbe Spiel. Er informierte den Tower höchst freundlich, er komme vom Westen rein, mit ein paar Arschlöchern an Bord, die unbedingt in Cartagena am frühen Morgen den Atlantik hätten sehen wollen. Er sagte, es handelte sich um zwei betrunkene Europäer, italienische Schweizer oder so was, die mit ihrer blonden Nutte unterwegs seien und alles bar bezahlten. Er kündigte fröhlich an, weil das Mädchen dauernd kotze, würde er ein wenig abseits landen.

Und im Übrigen sollten sie doch mal so freundlich sein und den langen Zero aus dem Bett schmeißen und ihm sagen, diese blöden Touristen würden durchaus auf den Golf rausfliegen wollen und den Scheißsprit auch noch bar löhnen. Zero solle mal seinen faulen Arsch bewegen, denn so dämliche Kunden kämen schließlich nicht alle Tage.

Der Tower antwortete verschlafen und gut gelaunt. Negro habe doch schon verdammt lange versprochen, mit einem echten Irish Malt Whiskey vorbeizukommen. Wenn diese saudummen Gringos sowieso alles bar bezahlten, ob da nicht diese oder jene Pulle dabei abfallen könnte.

»Na sicher«, sagte Negro. »O Mann, Jungs, ihr ahnt ja gar nicht, wie dämlich diese Leute aus Europa sind. Die glauben doch glatt, unsere Weiber tragen die Möse quer, und Englisch können sie auch nicht!« Dann lächelte er Grau allerliebst zu und ließ die Maschine in einem sehr weiten Bogen von Westen her einschweben.

Grau übersetzte für Milan, was Negro dem Funkgerät anvertraut hatte, und der lachte und sagte vergnügt: »Hier müsste man Sigrid einsetzen. Sie würde reich werden, weil sie mit einem Sparschwein rumgehen und bei jedem Chauvispruch einen Fünfer kassieren würde. Reden die hier alle so?«

Grau nickte. »Es ist ihre spezielle Art, in den Untergang zu steuern. Die Stoßgebete der Machos.«

Als sie schließlich in Barranquilla landeten, stand die Sonne schon ziemlich hoch, und es war brütend heiß.

»Ich gehe Zero suchen«, sagte Negro. »Bleibt sitzen und rührt euch nicht, die Flughafenpolizei ist viel zu faul, um hierherzukommen. Nicht aus der Maschine steigen, einfach sitzen bleiben.«

»Gut«, sagte Grau. Er war müde und sah, dass auch Milan gähnte.

»Ich will raus hier«, sagte das Mädchen erstaunlich klar.

»Das geht nicht«, erklärte ihr Grau. »Du wartest brav, bis wir weiterfliegen.«

»Ich lass mich doch nicht einfach von so blöden Wichsern entführen.« Sie schrie jetzt.

»O Gott!«, seufzte Grau. »Nicht so was, bitte! Milan, tu was, sonst geht alles schief. Wir sind immer noch in Kolumbien.«

»Ich kann Kinder und Frauen nicht schlagen«, erklärte Milan wütend. »Außerdem fängt sie sowieso immer an zu schreien, wenn sie wach wird. Gib mir die Wasserflasche nach hinten und zwei von diesen Beruhigungspillen. Ich kann sie doch nicht bis Frankfurt alle Stunde k. o. schlagen. Wie stellst du dir das denn vor?«

»Ich stelle mir gar nichts vor«, sagte Grau. »Ich finde diese Blonde sowieso ätzend.« Er sah sie aus dem Augenwinkel an. »Hast du eigentlich kapiert, was mit dir los ist, Mädchen? Du hast Entzug, nichts weiter. Du hast gekifft und gesoffen. Hast du auch gespritzt?«

»Bin ich wahnsinnig!«, fragte sie aufgebracht. »Überhaupt: Was soll das Ganze? Ich kann doch leben, wie ich will!«

»Du hast doch keinen eigenen Willen mehr«, sagte Grau ätzend bissig. »Du kannst verdammt froh sein, dass dein Großvater sich an dich erinnert hat. Nimm jetzt die zwei Tabletten. Sie beruhigen.«

»Bei Luke konnte ich machen, was ich wollte«, sagte sie quengelnd.

»Aber nur das, was dir geschadet hat«, entgegnete Grau ironisch.

»Nimm die Tabletten!«, befahl Milan, und er machte ziemlich deutlich, dass er sie ansonsten erneut bewusstlos schlagen würde.

»Scheißwichser!«, sagte sie und schluckte die Tabletten.

Negro schlenderte mit einem baumlangen Kerl gemächlich durch die Hitze und redete eifrig auf ihn ein. Der Mann nickte, schüttelte den Kopf, nickte wieder. Dann rief Negro: »He Leute, ihr könnt aussteigen, es geht weiter. Zero macht das schon.«

»Was kostet das Auftanken?«, fragte Grau.

»Viel Geld, Sir«, sagte Zero. Er war vielleicht vierzig Jahre alt und sah so hager und verdurstet aus, als sei er schwer magenkrank.

»Das kenne ich schon«, brummte Grau. »Hier sind tausend Dollar, tanken Sie!«

»Tausend? Mindestens zweitausend! Ich habe eine Maschine mit zwei Motoren, Sir! Die wollen saufen.«

»Hier sind zweitausend. Wir müssen weiter!« Grau drängte zur Eile.

»Wir können nur in Ponce landen, wenn wir behaupten, dass wir einen Motorschaden haben«, erklärte Zero. Er trug Cowboystiefel zu schwarzen Lederhosen und machte den Eindruck, als könnte er sich noch nicht einmal eine Schachtel Zigaretten leisten.

»Dann behaupten wir das eben«, beschloss Grau. »Lieber Himmel, wir haben da eine Teenager-Spätlese drin, die irgendwann ausflippt. Das sollte auf einem ordentlichen Flugplatz und nicht in Kolumbien passieren.«

»Okay, okay.« Zero hob theatralisch die Arme und starrte dann auf seine Stiefel. »Also, ich tanke und komme dann ganz scheinheilig hier vorbeigerollt. Ihr steigt um. Ich melde einen Flug an. Ohne Leute, klar? Ich gehe raus nach Norden, dann strikt nach Osten. Ist das gut so, Sir?«

»Was weiß denn ich, bin ich ein Kompass?«, fragte Grau mürrisch.

»Na gut, ich gehe nach Osten, wenn wir ungefähr auf dem 15. Breitengrad sind. An Haiti vorbei, dann Santo Domingo. Dann peile ich das nächste Funkfeuer an und sage, Jungs, sage ich, die Lage ist scheiße, meine Vergaser klemmen. Lasst mich rein nach Ponce, ich verschwinde auch sofort wieder.

Sie werden sagen: Okay, komm rein! Weil sie so nette Leute sind. Ich lande also, und dann müsst ihr verdammt noch mal zusehen, wie ihr ruck, zuck eure Ärsche irgendwie aus meiner Mühle rausbringt. Ist das okay, Sir? Und ich werde harmlos tun, einen dicken Schaden haben und die nächste Werft anrollen. Das alles muss ich bezahlen, Sir.«

»Also, was kostet der Spaß?«, fragte Grau resigniert.

»Fünftausend Dollar, Sir«, sagte Zero zackig.

»Milan«, sagte Grau seufzend. »Gib ihm das Geld und mach ihm deutlich, dass er tot ist, wenn er nicht in einer halben Stunde mit seinem Flieger vollgetankt hier vorbeikommt.«

Milan lächelte und fragte: »Geht es ums Tanken? Wenn es nur ums Tanken geht, komme ich mit. Der Junge sieht link aus. Er wird uns übers Ohr hauen, wenn er kann.« Er zog den Revolver unter dem Jeansgürtel heraus, fasste Zero sehr hart am Arm und sagte: »Okay, gehen wir.«

Grau starrte auf das blasse Mädchen und sagte: »Sie kann nicht mal aussteigen, Negro.«

»Ich gebe ihr einen Schluck Schnaps«, sagte Negro energisch. »Ich will weg, sonst muss ich dem Tower wirklich die Flasche Whiskey spendieren.«

Das Mädchen spuckte den Schnaps wieder aus. Aber sie wurde wach und stöhnte, sie hätte Kopfschmerzen. Kaum waren sie in Zeros Maschine umgestiegen, schlief sie schon halb. Zusammen verfrachteten sie das Mädchen auf einen der hinteren Sitze und schnallten es an.

»Dann wollen wir mal, Leute, Sir!«, sagte Zero und gab Schub. Sie stiegen in einen makellos blauen Himmel auf, die Karibik lag unter ihnen wie ein Juwel. Als Zero glaubte, er wäre im Radarbereich von Ponce, fragte er etwas hilflos: »Was ist, haben wir einen Schaden? Landen wir normal? Ich meine, sie lassen uns landen, es kommt aber darauf an, wer beim Zoll Dienst hat.«

Milan und Grau sahen sich an und Milan sagte schnell: »Es sind die USA. Ich denke, wir landen normal.«

Zero nickte, fühlte sich wohl auf seinem Haufen Bargeld und sagte dem Tower seine Kennung durch und etwas von einem Touristenflug in der Karibik. »Ich hopple die Inseln ab, Leute, jawohl, Sir. Ihr braucht keine Mädchen mit Blumenketten vorzuschicken, ihr braucht mir bloß eine superblanke Rollbahn anzubieten.«

Jemand vom Tower sagte gut gelaunt: »Bist du das, Cowboy?«

»Na sicher!«, schrie Zero begeistert. »Gehen wir heute Abend zusammen essen?«

Sie gesellten sich zu einer Reihe Privatmaschinen, und der Zöllner, ein unglaublich dicker Schwarzer namens Pedro, lotste sie zweihundert Dollar in bar zuliebe durch irgendwelche endlosen, grün gestrichenen Gänge bis in die Halle. Er klopfte der immer noch verschlafenen Angela auf den Hintern und strahlte: »Jetzt seid ihr in Sicherheit, Leute, jetzt könnt ihr den Globus stürmen.«

»Scheißwichser!«, konterte Angela.

Sie buchten eine Maschine nach Miami mit Anschluss an eine Direktverbindung nach Frankfurt/Main.

Grau rief Meike von einer Zelle aus an. »Wir sind bald wieder da«, sagte er erschöpft.

»Ich freue mich auf dich, Grau«, sagte sie. »Habt ihr das Mädchen?«

»Wir haben sie. Sie ist schlecht gelaunt, nennt uns Wichser und kann überhaupt nicht begreifen, weshalb wir sie aus dem schönen Bogotá herausgeholt haben.«

»Jugendliche sind nun mal so«, sagte sie altklug. »Freust du dich auf mich?«

»Ja«, versicherte Grau. »Sag Sundern Bescheid, sie sollen uns in Frankfurt auflesen, wir können in Tegel nicht landen. Er soll Pedra ausrichten, wir haben das Mädchen und sind froh, wenn er sie uns abnimmt.«

»Ja, Grau. Glaubst du, wir haben jetzt mal ein paar Tage Ruhe?«

»Nicht die Spur. Jetzt geht es erst richtig los«, erklärte Grau trocken und beendete das Gespräch.

»Was soll ich denn in Italien bei dem Scheißopa?«, fragte Angela wild.

»Soll ich dir erst noch ein Viertelpfund Kokain spendieren, mein Täubchen?«, fragte Milan freundlich.

Angela sagte wieder mit dick aufgeworfenen Lippen: »Scheißwichser.«

Grau wurde langsam wütend: »Du solltest gelegentlich mal deinen Wortschatz erweitern!«